«Eine Autorität, auf die man hört»
19.03.2021
Interview als PDF
2020 war ein aussergewöhnliches Geschäftsjahr, das zur Nagelprobe für die Leistungsfähigkeit von Interroll wurde – auch für die Beziehung zu den Kunden. Ein Gespräch mit Jens Karolyi, Senior Vice President Corporate Marketing & People Development der Interroll Gruppe, über Verantwortung in Krisenzeiten, das Schwimmen gegen den Strom und die emotionale Dimension der Marke.

Herr Karolyi, die Corona-Pandemie hat die Weltwirtschaft im letzten Jahr sehr plötzlich und mit voller Wucht getroffen. Wie ist Interroll mit dieser Krise umgegangen?
Jens Karolyi: Erst in einer Krise zeigt sich, ob die geschäftliche Ausrichtung und der Wertekompass eines Unternehmens wirklich funktionieren. Insofern hat die Corona-Pandemie auch Interroll auf den Prüfstand gestellt. Unsere Finanzkennzahlen belegen, dass wir diese besondere Herausforderung im letzten Jahr gemeistert haben. Doch reicht dieser Belastungstest ja weit über unsere operative Leistungsfähigkeit hinaus. Er betrifft auch die Werte, an denen sich Unternehmen ausrichten. So ging es für uns etwa am Anfang der Krise erst einmal um die grundsätzliche Frage, ob wir uns einfach in die Büsche schlagen, also abwarten, was andere Unternehmen machen, oder unserer Verantwortung als weltweit branchenführendes Unternehmen gerecht werden. Die Herausforderung lautet also: Ist Verantwortung nur ein Lippenbekenntnis für Schönwetterlagen oder wirklich integraler Bestandteil unseres Denkens und Handels? Da werden Ereignisse wie die Finanz- oder Coronakrise wirklich schnell zur unternehmerischen Nagelprobe.
Und wie sah diese Nagelprobe im letzten Jahr konkret aus?
Ein gutes Beispiel war die LogiMAT in Deutschland, die weltweit wichtigste Messe für Interroll, die Mitte März 2020 stattfinden sollte – also zu einer Zeit, als vor allem in Italien die Zahl der tödlich Erkrankten bereits nach oben ging und erste, erschreckende Bilder um die Welt gingen. Erwartet wurden damals über 60.000 internationale Besucher in den Messehallen. Heute würde man wohl sagen: ein potenzielles Superspreading-Event. Praktisch alle Seiten, also Behörden, Veranstalter und Aussteller, versuchten, an der Messe festzuhalten – was angesichts der wirtschaftlichen Implikationen einer Absage auch kein Wunder war. Doch wir sind gegen den Strom geschwommen: Aus Verantwortung für unsere Kunden und Mitarbeiter haben wir als erste Branchengrösse unsere Teilnahme abgesagt. Grundlage war eine schnelle Entscheidung unseres Group Managements, die Mut erforderte – und zum Vorbild wurde. Kurz danach schlossen sich fast alle Aussteller unserem Schritt an. Was den Veranstalter schliesslich zwang, die Messe auch offiziell abzusagen.
Was bedeutet diese Erfahrung?
Unser Vorgehen zeigte, dass wir nicht nur schlanke Entscheidungsstrukturen besitzen, sondern dass auch unser Kompass stimmt. Ausserdem wurde deutlich, dass wir in der Branchenwahrnehmung mittlerweile nicht nur mit unserer technologischen und geschäftlichen Leistung punkten können. Man schaut darauf, wie wir uns verhalten, welche Haltung wir vertreten. Wir sind also auf dem besten Weg, zu einer Autorität zu werden, deren Meinung über Tagesfragen hinaus sehr ernst genommen wird. Das ist nicht nur ein gutes Zeichen, sondern auch eine grosse Verpflichtung fürs Unternehmen.
Inwiefern?
Weil wir diesen Vertrauensvorschuss, den wir uns über viele Jahre als neutraler Anbieter von Materialflusslösungen erarbeitet haben, nicht enttäuschen dürfen. Unsere Haltung – auch und gerade bei Zukunftsfragen – muss deshalb immer gut begründet sein, damit Kunden und Anwender sie nachvollziehen können. Schnellschüsse und einen opportunistischen Zick-zack-Kurs wird man uns in dieser Rolle nicht verzeihen.
Und in welchen Bereichen könnte sich diese veränderte Rolle auswirken?
Zunächst einmal überall dort, wo sich unsere Branche über gemeinsame Anliegen klar werden muss. Ein Beispiel sind überfällige Fragen zur internationalen Standardisierung, also wenn es zum Beispiel um die Definition von Kommunikations- und Datenstandards in der Smart Logistics geht. Hier sollten und können wir ein wichtiges Wörtchen mitreden – gerade im Interesse unserer Kunden. Und zwar nicht nur durch unsere eigene Kompetenz, die wir zum Beispiel bei der Forschung und Entwicklung ausgebaut haben, sondern auch auf Basis des Erfahrungsaustauschs mit unseren internationalen Partnern im Rolling On Interroll Netzwerk. Hier gilt es entsprechende Diskussionen anzuregen, zu begleiten und der fachlichen Expertise sowie der Marktkenntnis des weltweiten Mittelstands Gehör zu verschaffen.
Hat dieses Selbstverständnis auch Auswirkungen auf die Positionierung der Marke?
Ja. Was wir bei der beschriebenen Entwicklung sehen, ist die Tatsache, dass bei unserem Markenversprechen, das Geschwindigkeit, Qualität und erlebte Einfachheit umfasst, in der Aussenwahrnehmung emotionale Aspekte zunehmend wichtiger werden. Es wird also künftig auch darum gehen, nicht nur die rationalen Ansprüche, die an uns gestellt werden, zu erfüllen. Wer auf Interroll Technologie setzt, soll dies auch in dem Bewusstsein und mit dem Vertrauen tun, sich hundertprozentig auf uns verlassen zu können. Mit anderen Worten: Man muss einfach ein gutes Gefühl haben, Interroll als kompetenten Partner an seiner Seite zu wissen.
Das setzt allerdings eine enge Kommunikation mit den Kunden voraus. Wie haben Sie auf die Lockdowns der ersten Infektionswelle agiert?
Statt unsere Wunden zu lecken und unsere Aktivitäten herunterzufahren, haben wir proaktiv aufs Gaspedal getreten. Besuche bei Kunden und selbst eigene Reisen zu unseren Standorten waren nicht mehr möglich. Es herrschte eine grosse Verunsicherung bei Kunden, Anwendern und Mitarbeitern. Würde es zu Werksschliessungen kommen? Wie würden die Hygieneregeln aussehen? Würde man weiter an Aufträgen arbeiten? Waren überhaupt noch Bestellungen möglich? Man wollte also zu Recht wissen: Wie verhält sich Interroll in der Krise? Um diese Frage zu beantworten, haben wir in kürzester Zeit einen Live-Stream mit den verantwortlichen Managern für Europa, Amerika und Asien aufgesetzt, der bei unseren Kunden und Mitarbeitern auf grosses Interesse stiess. Danach war klar, dass Interroll auch in der Krise niemanden im Stich lassen und sich seiner besonderen Verantwortung stellen wird.

Wer auf Interroll Technologie setzt, soll dies auch in dem Bewusstsein und mit dem Vertrauen tun, sich hundertprozentig auf uns verlassen zu können.»
Und wie haben Sie versucht, die ausgefallenen Messen zu kompensieren?
Schon vor unserer LogiMAT-Absage haben wir uns natürlich intensiv mit Alternativen beschäftigt. So konnten wir den Ausfall der Messe als Momentum nutzen. Branchenweit waren wir die ersten, die eine eigene «Messe» im Internet auf die Beine stellen und für Besucher weltweit anbieten konnten. Das Themenspektrum reichte von multimedialen Produktvorstellungen per Live-Stream mit Chat-Funktion über Videos mit Expertentipps bis hin zu komplett interaktiven Webinaren. Kunden bekamen die Möglichkeit, Fragen zu stellen und sich mit den zuständigen Produkt- und Vertriebsexperten direkt zu vernetzen. Manche dieser Beiträge haben wir dann nicht nur auf Englisch oder Deutsch, sondern in 17 Sprachen produziert. Die Nachfrage war ausserordentlich hoch – auch weil viele Kunden selbst im Home-Office sassen und so ihren beruflichen Informationsbedarf sehr einfach stillen konnten. In dieser Zeit verfünffachte sich der Verkehr auf unserer Website und wir konnten bis zu 700 Kundenkontakte pro Tag generieren.
Also war dies ein wichtiges Instrument für den Vertrieb?
Absolut. Dies hat den Vertriebsmitarbeitern sicherlich sehr geholfen, Bestandskunden und Interessenten zu betreuen. Doch war diese Massnahme letztlich auch eine wichtige Bewährungsprobe für die Werte und Haltung, die wir in den letzten Jahren in den Trainingsprogrammen der Interroll Academy behandelt haben. Bei diesen internationalen Schulungen geht es ja unter anderem darum, die Führungskräfte aus den unterschiedlichsten Bereichen für eine nahtlose Zusammenarbeit über Abteilungsgrenzen hinweg zu sensibilisieren. Und genau dies haben wir hier in der digitalen Welt durch das Zusammenspiel von Marketing, Vertrieb und Produktmanagement demonstrieren können. Da haben wirklich alle Beteiligten an einem Strang gezogen und einen hervorragenden Job gemacht.
Wird die digitale Kommunikation im Marketing auch künftig einen grösseren Platz einnehmen?
Ja. Der Schub, den die Coronakrise brachte, hat laufende Trends nur beschleunigt. Was erst in zwei Jahren erwartet wurde, ist heute eine Selbstverständlichkeit. Diese Entwicklung werden wir nutzen, um die Beziehung zu den Kunden weiter zu intensivieren. Ein Beispiel sind digitale Befragungen, die uns einen umfassenden Einblick in unsere eigene Leistungsfähigkeit geben und als Frühwarnsystem dienen werden, um im Fall der Fälle schnell nachjustieren zu können.
Sind durch die digitalen Marketinginstrumente künftige Messebeteiligungen obsolet geworden?
Nein. Den persönlichen Kontakt können digitale Kanäle sicherlich nicht komplett substituieren. Allerdings schauen wir genau hin, wo und unter welchen Umständen eine Messeteilnahme noch Sinn ergibt. Doch auch in diesem Bereich sind wir offen für neue Ansätze. Wir glauben, dass es im Interesse der Kunden effektiver sein kann, wenn wir mit unserem Lösungsportfolio einfach bei ihnen vorbeischauen. Aus diesem Grund planen wir, bei den europäischen Kunden vor Ort mit einer mobilen Truck Show vorbeizuschauen. So können wir unsere Lösungen und unsere Produktneuheiten anschaulich und noch zielgenauer präsentieren. Dieses Messekonzept ist nicht nur flexibel und effizient, sondern würde auch problemlos die Einhaltung höchster Hygienestandards erlauben.