«UNSER FOKUS AUF ZEITERSPARNIS HAT SICH AUSGEZAHLT»
19.03.2021
Interview als PDF
Ein Gespräch mit Paul Zumbühl, CEO der weltweiten Interroll Gruppe, über das Geschäftsjahr 2020 und Interrolls Perspektiven.
Das Jahr 2020 ist das letzte volle Geschäftsjahr, in dem Sie Interroll als CEO geführt haben. Was ist Ihr Fazit?
Paul Zumbühl: Im Geschäftsjahr 2020 konnten wir die Früchte ernten, die wir in den letzten Jahren gesät haben. Dies betrifft vor allem zwei Dinge: Einerseits haben wir unser Leistungsangebot ständig verbessert und konnten den Markt im Krisenjahr hervorragend bedienen. Andererseits hat Interroll seine Hausaufgaben bereits in guten Jahren gemacht. So konnten wir uns in diesem besonders anspruchsvollen Jahr 2020 auf das konzentrieren, was für den Erfolg entscheidend ist: die Kunden.
Wie hat sich die Konzentration auf die Kunden gestaltet?
Reaktionszeiten des Kunden, das sogenannte Window of Opportunity ist sehr kurz. Er braucht Partner, auf die er sich verlassen kann. Lieferfähigkeit und Qualität zählen enorm. Das wurde während der Corona-Pandemie nochmals deutlicher. Nicht zuletzt haben unsere Mitarbeiter während der Krise ein weiteres Mal unterstrichen, dass unser Climate of Excellence, also die Kultur, Spitzenleistungen zu erbringen, tief im Unternehmen verankert ist. Unsere Produktivität und Lieferfähigkeit konnten fast durchgängig auf einem sehr hohen Niveau gehalten werden. Interroll konnte auch einige Neukunden gewinnen, weil wir schneller als Wettbewerber reagiert haben. Unsere digitalen Prozesse wie auch unsere internen Entscheidungswege funktionieren. Unser langjähriger Fokus, dem Kunden Zeit zu sparen, von der Planung bis zur Installation, hat sich ausgezahlt. So konnten wir schnell Antworten geben und liefern.
Der Wettbewerb war weniger gut vorbereitet?
Nein, ich möchte dies nicht verallgemeinern, aber wir haben neue Kunden gewonnen. Nun gilt es natürlich, die Kunden zu halten und mit ihnen weiter zu wachsen. Unser agiles, globales Produktionsnetzwerk mit 16 Standorten konnte regionale Probleme in der Lieferkette umgehen und mit Alternativen anderenorts kompensieren.
Was hat Interroll aus der Pandemie gelernt?
Für mich persönlich ist es die dritte Krise bei Interroll, nach der Technologieblase im Jahr 2000 und nach der Finanzkrise im Jahr 2009. Wir haben aus jeder Krise gelernt und dieses Wissen bereits in den Jahren zuvor konsequent umgesetzt, was sowohl unsere strategische Ausrichtung als auch unser Kostenmanagement angeht. Die Feuerprobe ist somit bestanden: Interroll hat in einem ausserordentlich herausfordernden Jahr beim Auftragseingang in lokaler Währung deutlich und in Berichtswährung leicht zugelegt und die Profitabilität sogar noch erheblich steigern können. Die Lektion aus der jetzigen Krise ist es, bei den Projekten noch näher dranzubleiben. Das heisst auch, beim Kunden des Kunden bekannt und damit sehr nah am Markt zu sein. Auf dessen Entscheidungsvorbereitung in Sachen Materialflusslösung müssen wir Einfluss nehmen, in Zukunft noch stärker als jetzt. Weiter dazugelernt hat Interroll auch bei der Forschung und Entwicklung. Der strategische Aspekt, der hinter unserem Erfolg steht, ist in der Tat unsere Innovationskraft. Diese wirkt sich nun nachhaltig positiv auf die Technologieplattform aus. Unsere modular aufgebauten Lösungen sind beim Kunden gefragt.
«Die Lektion aus der jetzigen Krise ist es, bei den Projekten noch näher dranzubleiben. Das heisst auch, beim Kunden des Kunden bekannt und damit sehr nah am Markt zu sein.»
Stichwort: Technologieplattform. 2020 gab es zwei wesentliche Innovationen, sowohl eine Erweiterung der modularen Fördererplattform für Paletten MPP als auch den Hochleistungssorter HPCS. Wie haben sich diese im Markt entwickelt?
Der Hochleistungssorter eröffnet uns ein neues Leistungssegment im Markt, welches wir zuvor so nicht abgedeckt haben. Neu ist, dass wir mit dem HPCS erstmals einen globalen Produkt-Rollout realisiert haben, das heisst, wir haben die Lösung gleichzeitig weltweit im Markt etabliert. Dies war nur mit einer synchronisierten Produktions- und Lieferfähigkeit auf allen drei Kontinenten möglich. Wir haben den neuen Sorter erst im März in den Markt eingeführt und dennoch bereits mehr Aufträge erhalten als ursprünglich erwartet. Darüber sind wir sehr erfreut, lassen hier aber nicht locker: Interroll bringt 2021 noch einen Sorter im Basissegment auf den Markt. Mit Basissegment meinen wir zum Beispiel Anwendungen, bei denen Handsortierung prinzipiell noch möglich ist, oder bei denen, wie etwa im Fashion-Bereich, Zuverlässigkeit und Geschwindigkeit durch Automatisierung immer wichtiger werden. Es gibt in diesem Bereich natürlich bereits Wettbewerber im Markt. Deshalb gilt es, die Kunden mit Alleinstellungsmerkmalen zu überzeugen.
Die MPP wird oft verglichen mit der Modular Conveyor Platform MCP. Ist der Verlauf im ersten Jahr im Markt hier ähnlich?
Bei der modularen Palettenfördererplattform MPP ist das Feedback der Kunden sehr positiv. Das Konzept in diesem Bereich ist völlig neuartig – es braucht deshalb auch mehr Zeit. Die MPP ist natürlich mit 1.2 Tonnen Förderlasten eine andere Gewichtsklasse als die MCP und für uns Neuland beim Kunden. Zum Beispiel kann in einer automatisierten Palettierungsanlage, in Beladungsstationen und Roboterzellen die MPP mit ihrer digitalen Intelligenz hervorragend integriert werden. Die Produktgruppe «Dynamic Storage» haben wir mit den Palettenförderern MPP verschmolzen und gehen nun das Thema Paletten mit der Produktgruppe «Pallet Handling» ganzheitlich und in modularer Form an. Der Integrator kann beim Anwender mit unserem nunmehr komplett ausgebauten Lego-Baukasten die Materialflussprozesse im Bereich Paletten schnell, sicher und flexibel sowie mit abgestimmten digitalen Schnittstellen realisieren.
Wie ist der Ausblick, was weitere Innovationen angeht?
Die Innovationsleistung hat Interroll deutlich verstärkt. Hardware und Software können immer weniger klar auseinandergehalten werden; sie bilden ein Ganzes, eine intelligente Lösung. Deshalb haben wir heute das Innovations-Team viel interdisziplinärer aufgestellt und die Prozesse neu aufgesetzt. Mit dem Ansatz der Systeminnovation schauen wir, wo genau der Schmerzpunkt, der sogenannte Customer Pain, beim Kunden liegt und wie wir ihn beseitigen können. Wichtig ist, dass dieser von Anfang an richtig verstanden wird, um einen wirklichen Kundennutzen zu erzeugen.
Der Markt für Intralogistik hat sich einigen Innovationen geöffnet, beispielsweise etablieren sich AGVs und Drohnen. Steckt darin eine Bedrohung für Interroll?
Wir sehen diese Technologien als komplementär an. Dabei gilt es, die richtigen Schnittstellen zur Vernetzung zu ermöglichen und intelligente Fördertechnik bereitzustellen, die sich den Kundenwünschen optimal anpasst. In Sachen Kosten, Energieverbrauch, Einfachheit, Arbeitssicherheit und Flexibilität bietet unsere Technologieplattform heute und in Zukunft weiterhin entscheidende Vorteile in einer zunehmend digitalisierten Welt.
Welche Rolle spielt denn die Digitalisierung hierbei?
Mit der Digitalisierung eröffnen sich nun enorme Chancen, den Kundennutzen zu steigern. Die Digitalisierung ist allerdings Mittel zum Zweck. Dezentrale Intelligenz im Materialfluss ist ein wichtiges Stichwort, Kunden können sich hier auf die modulare Steuerungsplattform von Interroll verlassen. Es gilt, den Systemintegrator zu entlasten, damit er sich auf die Gesamtlösung konzentrieren kann und unsere intelligenten Produkte problemlos, sicher und schnell integrieren kann.
Mit der Digitalisierung beschäftigt sich jetzt das neue Center of Excellence in Linz?
Wie Anfang des Jahres kommuniziert, hat Interroll die MITmacher GmbH mit einem Team von hochqualifizierten Ingenieuren in Linz, Österreich, akquiriert. Mit diesem Team am neuen Standort entsteht nun unser neues globales Kompetenzzentrum für Software und Electronics. Somit können wir künftig die Software-Plattform noch fokussierter modular und skalierbar aufbauen. Dabei beschränken wir uns allerdings auf die Maschinenebene mit dem Ziel, das Leben von Endkunden und Systemintegratoren weiter zu vereinfachen und ihnen Plug & Play-Lösungen zu offerieren. Mittelfristig ergeben sich daraus auch grosse Chancen für den Service.
Die Innovationsleistung hat Interroll deutlich verstärkt. Hardware und Software können immer weniger klar auseinandergehalten werden; sie bilden ein Ganzes, eine intelligente Lösung.»
Welche Wachstumschancen sehen Sie beim Service allgemein?
In den letzten Jahren konnte Interroll die installierte Basis massiv ausbauen. Jetzt macht es Sinn, den Service weiter auszubauen. Dabei gilt es, den Umsatzanteil des Service weiter zu steigern. Wir gehen das Thema mittelfristig an und wollen unseren Umsatzanteil des Service in fünf bis sieben Jahren auf 20 % ausbauen. Die neu gegründete Serviceorganisation, die wir im Februar 2021 vorgestellt haben, wird hier wesentliche Impulse bringen.
Welche Rolle spielen Partnerschaft und Kooperationen im Markt?
Interroll ist ein Trendsetter im Markt, eine Autorität. Das bedeutet auch, dass wir eine grosse Verantwortung haben. Die Kunden vertrauen auf unsere Technologien und Innovation wie auch auf unsere nachhaltige finanzielle Solidität – besonders in Krisenzeiten. Wir wollen sie auf keinen Fall enttäuschen. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit wird sich künftig im Mark weiter verstärken. Es wird für Marktteilnehmer immer weniger möglich sein, alles allein abzubilden, was im Materialfluss technisch möglich wäre. Das Risiko, bei diesem Trend Marktanteile zu verlieren, ist hoch. Dies gilt umso mehr auf globalem Parkett. Mit unserem Partnerprogramm Rolling On Interroll zeigen wir klar auf, wie erfolgreich man gemeinsam sein kann, wenn man seine Stärken komplementär einsetzt.
Kann Outsourcing hier eine Rolle spielen?
Ja, auf jeden Fall. Interroll verfügt über hervorragende Expertise in der Herstellung von Produkten für den Materialfluss. Wir sehen ein grosses Potenzial an Kunden, die ihre hausinterne Produktion aufgeben und unsere Plattformlösungen übernehmen möchten. Dieses Thema haben wir auch mit einer Studie untersucht, bei der wir 300 Entscheider aus produzierenden Unternehmen im DACH-Raum befragt haben. Das Fazit: Im Bereich der Produktion zeigt sich ein beträchtliches, noch unerschlossenes Potenzial fürs Outsourcing. Die Lieferfähigkeit rückt hierbei besonders in den Fokus: Durch das Auslagern von Produktions- und Innovationsprozessen können Betriebe Innovations
Wie optimistisch sind Sie für weiteres Wachstum?
Wir investieren auf allen Kontinenten insgesamt 150 Millionen Franken im Zeitraum 2020 bis 2023 – in Innovation, Digitalisierung und unsere Produktionskapazitäten. Somit investieren wir für unser weiteres Wachstum. Das Allerwichtigste ist dabei, jederzeit lieferfähig zu bleiben. Die Coronakrise hat dies schonungslos aufgezeigt und uns hier einen entscheidenden Marktvorteil beschert. Aufgrund unserer attraktiven Markposition blicken wir sehr zuversichtlich in die Zukunft.